
Holistische Zahnmedizin – welche Risiken birgt der ganzheitliche Ansatz?
14. April 2025Wer nach einem neuen Zahnarzt oder einer neuen Zahnärztin sucht, stößt vielleicht auch auf den Begriff ganzheitliche oder holistische Zahnmedizin. Doch was steckt dahinter? Und wie seriös sind solche Ansätze?
Was ist holistische Zahnmedizin?
Holistische Zahnmedizin hat viele Namen, sie wird auch als alternative, biologische oder natürliche Zahnmedizin bezeichnet. Sie verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz und betrachtet sich als Erweiterung und sanfte Alternative der Zahnmedizin. Laut Vertretern der biologischen Zahnmedizin sind Zähne durch Wechselwirkungen mit dem menschlichen Körper und seiner Seele verbunden. Zähne geben nach dieser Vorstellung Hinweise auf weitreichendere gesundheitliche Probleme der Patientinnen und Patienten. So sollen Zahnprobleme beispielsweise mit Migräne, Neurodermitis und Herz-Kreislauf-Krankheiten in Verbindung stehen. Das funktioniert angeblich auch umgekehrt: Allgemeine Beschwerden wie Müdigkeit oder schwerwiegende Krankheiten wie Brustkrebs sollen mit den Zähnen oder der Wurzelkanal-Behandlung assoziiert sein. Zusätzlich soll jeder Zahn mit einem bestimmten Organ verbunden sein.
Zwar kann die Zahngesundheit sich auf die allgemeine Gesundheit auswirken. Eine Parodontitis zum Beispiel kann das Risiko für Arteriosklerose erhöhen. Zähneknirschen kann eine Ursache für Kopfschmerzen sein. In dem Maße, wie die ganzheitliche Zahnmedizin sie postuliert, sind diese Wechselwirkungen aber wissenschaftlich nicht belegt. Man muss also differenzieren und im Zweifel genauer hinschauen.
Behandlungsmethoden der holistischen Zahnmedizin
Die holistische Zahnmedizin bezieht die Gesundheit des gesamten Körpers in die zahnärztliche Behandlung ein. Zu den Prinzipien gehören die Vermeidung von „Toxinen“ und die Berücksichtigung von Ernährung, Lebensstil und emotionalem Wohlbefinden. Dies hat zur Folge, dass von bestimmten Zahnfüllungen, insbesondere Metall- oder Amalgamfüllungen, abgeraten wird. Auch vorhandene Amalgamfüllungen werden häufig als schädlich angesehen, sodass zur Entfernung geraten wird (Amalgansanierung). Oft heißt es auch, dass Stoffe – vor allem Quecksilber – aus dem Körper „ausgeleitet“ werden müssen.
In der holistischen Zahnmedizin gelten aber nicht nur bestimmte Materialien als potenzielles Gesundheitsproblem: Auch etablierte Verfahren wie Wurzelkanalbehandlungen werden teilweise abgelehnt. Wurzelbehandelte Zähne werden als „Störfelder“ bezeichnet, die weitere Erkrankungen im Körper auslösen sollen. Wissenschaftliche Belege für diese Zusammenhänge gibt es nicht. Trotzdem wird unter Umständen dazu geraten, wurzelbehandelte Zähne zu ziehen und durch Implantate aus Keramik zu ersetzen. Denn auch Titan wird teilweise abgelehnt.
Krankenkassen übernehmen die Behandlungskosten meist nicht, sodass die oft kostspieligen Behandlungen häufig selbst bezahlt werden müssen.
Prinzipien der holistischen Zahnmedizin
Auf einige Prinzipien stößt man in der biologischen Zahnheilkunde immer wieder, darunter:
- bestimmte Ernährungsweisen zur Vorbeugung und Behandlung von Zahnerkrankungen
- Vermeidung und Beseitigung von vermeintlichen Toxinen aus bestimmten Zahnmaterialien
- die Vorstellung, dass Zähne mit bestimmten Organsystemen verbunden sind und Zahnerkrankungen und wurzelbehandelte Zähne „Störfelder“ darstellen können
Zur Anwendung kommen unter anderem Methoden wie die Kinesiologie, Osteopathie, Homöopathie, Naturheilkunde, Akupunktur und Neuraltherapie. Bei den meisten dieser Methoden gibt es keine Belege, dass sie über den Placeboeffekt hinaus wirken.
Wie ist die holistische Zahnmedizin entstanden?
In den letzten Jahrzehnten entstand die ganzheitliche Zahnmedizin in Europa und den USA aus der ganzheitlichen Medizin. Erste Publikationen finden sich in den 1950er-Jahren. Einige Praxen verweisen auf Jahrtausende alte Ideen, die die holistische Zahnheilkunde beeinflussen, um deren Validität zu unterstreichen. Evidenzbasierte Belege für die Wirksamkeit der Methoden gibt es jedoch in der Regel nicht.
Wie wird man ein holistischer Zahnarzt?
Als holistischer Zahnarzt kann sich jeder Zahnarzt oder jede Zahnärztin bezeichnen. Es gibt keine spezielle Ausbildung oder Kurse, sondern nur Prinzipien, die einige biologische Zahnärztinnen und Zahnärzte vertreten. Viele der Behandlungen werden nicht von der Krankenkasse getragen und können für Patientinnen und Patienten kostspielig sein. Insgesamt gibt es nur wenige holistische Zahnärzte im Vergleich zu evidenzbasiert arbeitenden Zahnärztinnen und Zahnärzten.
Fazit
Holistische Zahnmedizin verspricht Patientinnen und Patienten viel, aber ein kritischer Blick hinter den klangvollen Namen ist sinnvoll. Holistisch oder biologisch klingt nach einer grünen und schonenden Alternative zur konventionellen Zahnmedizin. Häufig gibt es aber keine wissenschaftlichen Belege für die empfohlenen Behandlungsmethoden und Prinzipien. Die Therapien sind bisweilen teuer, unnötig und können schlimmstenfalls sogar ein Gesundheitsrisiko darstellen, etwa wenn gesunde Zähne gezogen werden. Dass verschiedenste chronische Erkrankungen ihren Ursprung in den Zähnen haben sollen, ist wissenschaftlich nicht belegt. Bevor man in ungewöhnliche Behandlungsmaßnahmen einwilligt, lohnt es sich gegebenenfalls, eine zweite Meinung einzuholen.
Quellen:
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